Monat: Juni 2012
Roma Umsiedlung in verseuchte Fabrik
Der Bürgermeister von Baia Mare will 2.000 Roma in Laboratorien unterbringen, die mit Giftstoffen verseucht sind. Die Aktion soll Stimmen bei den Kommunalwahlen bringen.
VON WILLIAM TOTOK
Eingemauerte Roma-Siedlung in Baia Mare. Bild: dpa
Vierzehn Personen, die meisten davon Kinder, mussten vor wenigen Tagen mit Vergiftungen in Krankenhäuser der rumänischen Stadt Baia Mare gebracht werden. Es handelt sich um Roma, die zuvor auf Befehl des liberalen Bürgermeisters Catalin Chereches aus ihren Unterkünften zwangsevakuiert und in neuen Wohnungen untergebracht worden waren. Die meisten Roma hatten sich dem Zwangsumzug widersetzt. Um deren Widerstand zu brechen, wurden Polizeikräfte eingesetzt. Die ersten Familien wurden schließlich im Laufe der vergangenen Woche in mit Chemikalien verseuchten Laboratorien einer ehemaligen Fabrik untergebracht. Dort fanden sich Restbestände von Schwefelsäure und anderen hochgiftigen Substanzen. In der Eile der Umgestaltung der Laboratorien des früheren Kombinats Cuprom hatte man sogar vergessen, die Warnhinweise mit den Totenkopfsymbolen von einigen Türen zu entfernen. Von der Umsiedlung sind etwa 2.000 Roma betroffen. Gegen die vom Bürgermeister eingeleiteten Zwangsmaßnahmen protestierten mehrere Roma-Organisationen. In einem offenen Brief der Vereinigung Romani-Criss an Staatspräsident Traian Basescu und Regierungschef Victor Ponta wird der Einsatz der Polizei beim Umzug als ein „schwerwiegender Vorfall“ und Verstoß gegen die bürgerlichen Rechte der Roma bezeichnet.
Auf Stimmenfang
Die Roma-Organisation fordert, „konkrete politische und administrative Maßnahmen“ zur Eindämmung der vom Bürgermeister Baia Mares gegen die Roma eingeleiteten Aktionen. Der von den Sozialdemokraten zu den Liberalen übergetretene Catalin Chereches befindet sich zurzeit im Wahlkampf. Er hofft bei den Lokalwahlen am kommenden Sonntag erneut zum Bürgermeister gewählt zu werden. Um sich auch die Stimmen fremdenfeindlich gesinnter Mitbürger zu sichern, löste er schon vor dem Urnengang sein Wahlversprechen ein, Roma umzusiedeln. Chereches, der bei den nächsten Präsidentschaftswahlen kandidieren möchte, geriet schon im vergangenen Sommer in die Schlagzeilen.
Damals ordnete er an, Blocks, in denen Roma leben, mit einer fast zwei Meter hohen Mauer zu umgeben.
Negative Schlagzeilen
Pogromartige Ausschreitungen gegen Roma hatten das postkommunistische Rumänien bereits gleich nach der Wende in den Fokus der internationalen Aufmerksamkeit gerückt.
Für negative Schlagzeilen sorgten auch Politiker, die durch ihre rassistischen, gegen Roma gerichteten Maßnahmen in die Kritik gerieten. So der sozialdemokratische Bürgermeister der Stadt Piatra Neamt, der 2001 angekündigt hatte, Roma in Hühnerställen unterzubringen.
Quelle: http://www.taz.de/Wahlkampf-in-Rumaenien-/!94710/
http://www.demotix.com/news/1261147/protest-against-recent-resettlement-1000-romani-baia-mare
Roma – die diskriminierten Europäer
Die Roma leben in den EU-Staaten unter schrecklichen Bedingungen. Europa muss viel mehr tun, um ihre Menschenrechte zu garantieren, schreibt die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte. Sie erhebt auch gegen Deutschland schwere Vorwürfe.
Wenn es etwas Positives am momentanen Aufruhr darüber gibt, wie die Roma in Frankreich und anderen Ländern behandelt werden, dann ist es die Tatsache, dass ihre unglaubliche Diskriminierung nun ein allseits beachtetes Thema geworden ist. Wenn der Lärm und Ärger wieder abgeklungen sind, müssen wir die schrecklichen Bedingungen, unter denen diese an den Rand gedrängte Minderheit leben muss, weiter im Auge behalten. Die Leitlinien der Politik und der Hilfe müssen die Menschenrechte sein.
In Europa herrscht eine starke Abneigung gegenüber den Roma, trotz der Anstrengungen einiger EU-Staaten sowie internationaler und regionaler Organisationen. Diese Spannungen können eskalieren, weil viele Roma wegen der Wirtschaftskrise ihre Heimat verlassen haben, um anderswo Arbeit zu finden. In der Folge sind Gewalt und Diskriminierung gestiegen.
In Ungarn und der Slowakei gab es Übergriffe auf Roma, die tödlich endeten. Die gezielte Diskriminierung ist vielfach dokumentiert, einschließlich des Schreibens des französischen Innenministers, der die Auflösung von Roma-Lagern als Priorität anordnete. Der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (Cerd) beobachtet, dass Roma mit Zwang vertrieben, ihnen angemessene Unterkünfte verweigert und sie ausgegrenzt werden. Das geschieht unter anderem in Bulgarien, Tschechien, Griechenland, Italien, Litauen, Rumänien und der Slowakei.
In einigen Ländern haben Roma nur begrenzten Zugang zu medizinischen Leistungen, weil sie keine Ausweise besitzen. Dem Cerd zufolge gibt es vielfach Probleme bei der Ausbildung von Roma-Kindern. Oft werden sie in gesonderte Schulklassen eingeteilt oder in Schulen für Kinder mit Lernschwierigkeiten geschickt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat festgestellt, dass etwa Tschechien und Griechenland ihre Verpflichtungen zum Schulbesuch von Roma-Kindern nicht einhalten. Die Entscheidungen des Gerichts werden bestenfalls stückweise umgesetzt.
Auch die anhaltende Rückführung der Roma von Deutschland ins Kosovo hat verheerende Folgen für die Rechte der Kinder, auch für ihr Recht auf Bildung. Eine Studie des UN-Kinderhilfswerks Unicef belegt: Roma-Kinder, die in deutschen Schulen gut integriert waren, befinden sich auf einmal in einem völlig fremden Umfeld, in dem nur Albanisch gesprochen wird. Plötzlich können sie gar nicht mehr oder nur unter großen Schwierigkeiten zur Schule gehen.
Leben am Rand der Gesellschaft
Es ist nicht verwunderlich, dass die EU-Agentur für Grundrechte die Roma als die am stärksten diskriminierte Gruppe innerhalb der EU einschätzt. Häufig werden sie von politischen Kräften noch weiter ausgegrenzt und stigmatisiert, die sich mit ihrer Rhetorik einen Vorteil versprechen und das Misstrauen weiter steigern wollen. Das ist einer der Punkte, die ich während meines Besuches von Roma-Siedlungen in Italien hervorgehoben habe. Hier wie auch anderswo habe ich betont, dass die Roma besser in die Gesellschaft integriert werden müssen, sowohl in den Heimat- wie den Bestimmungsländern. Ein erster Schritt ist ein verbesserter Zugang zu Bildung und anderen Leistungen, wie medizinische Versorgung, angemessene Unterkünfte und Arbeitsmöglichkeiten. All das sind Ansprüche gemäß der Menschenrechte.
Ich bin mir bewusst, dass einige Traditionen der Roma anders sind als die der allgemeinen Gesellschaft und einige von ihnen zu Verletzungen der Menschenrechte wie Zwangsheirat und Kinderarbeit führen. Auch ist mir bewusst, dass das Leben am Rand der Gesellschaft für einige Roma in der Kriminalität endet. Dies erzeugt verständlicherweise Spannungen. Hier müssen wir genau hinschauen und jeden Fall einzeln prüfen und nicht rücksichtslos verurteilen. Die Täter haben ein Recht auf faire Verfahren, die nicht den Beigeschmack einer Stigmatisierung oder kollektiven Bestrafung einer Minderheit haben.
Auf nationaler und europäischer Ebene ist dieses Thema oft diskutiert worden. Mit der Einrichtung einer Europäischen Plattform für die Einbeziehung der Roma und der Annahme gemeinsamer Grundprinzipien für die Einbeziehung der Roma 2009 versucht die Europäische Kommission Integrationsbemühungen zu unterstützen. Auf der UN-Konferenz gegen Rassismus 2009 haben sich 182 UN-Mitgliedstaaten verpflichtet, konkrete Maßnahmen gegen die Diskriminierung der Roma und anderer Minderheiten zu ergreifen und einen besseren Rechtsschutz einzuräumen.
Es muss noch viel mehr getan werden. Mit der Unterstützung der Europäischen Kommission, des EU-Parlaments und der UN müssen die 27 EU-Mitgliedstaaten ihre Haltung gegenüber den Roma deutlich verbessern. Erfolgreiche Methoden müssen gesammelt und Menschenrechtsstandards in allen Ländern der EU eingeführt werden. So können wir sicherstellen, dass alle Roma in ihrer Heimat, einer der wohlhabendsten Regionen der Welt, ein Leben in Würde führen können.
Abschiebung von Roma: Letzte Chance für Paris
Quelle: Frankfurter Rundschau