Sichtbare Wunden: Die Kunst von Marika Schmiedt

„Warum die Wunde offen bleibt“ heißt ein neuer Film von Marika Schmiedt.

Von Sebastian Bubner

Das Thema des Films ist die Verfolgung der Roma im Hier und Jetzt sowie die wahrnehmbare Kontinuität dieser Verfolgung im Rückblick auf die Nazizeit. Der Film zeichnet die Spuren dieser Zerstörung im Spiegel der Kunstaktionen der Filmemacherin und der heftigen Reaktionen von Teilen der Öffentlichkeit auf diese Projekte, dann im Rückblick auf ihre Kindheit und schließlich in Gesprächen der Filmautorin mit österreichischen Antirassistinnen-Romna und Nicht-Romna, deren Aussagen ein Konzert der Stimmen im Engagement für ein Ende der mörderischen Tradition der Sinti-und-Romafeindlichkeit ergeben.

Wunden / Wände

Die Wunde, von der Marika Schmiedts Filmtitel spricht, ist die Wunde, die die Mehrheitsgesellschaft den Roma schlägt, aber auch die Wunde der Gesamtgesellschaft, die Wunde der Einzelnen, die verfolgt werden oder die durch ansozialisierte Täter_innenschaft verformt sind. Aber nicht nur Wunden, auch Wände spielen eine bestimmende Rolle in der künstlerischen Sensibilität Marika Schmiedts.
Zu Beginn des Films übersprüht Schmiedt eine faschistisch-romafeindliche Hassparole an einem Bauzaun. Sie übersprüht den menschenfeindlichen Aufruf, aber Buchstaben bleiben stehen. Aus dem hingekritzelten „RAUSS!“ wird „AUS“. Eine weitere Wand-Episode: Um Schmiedts Linzer Plakat-Ausstellung „«Die Gedanken sind frei» Angst ist Alltag für Roma in EUropa“ zur aktuellen Romaverfolgung, die sie 2013 im öffentlichen Raum installierte, entbrannte ein absurder Streit der „Ordnungshüter_innen“ exekutiver und judikativer Couleur und deren faschistischer Freund_innen. Der nur dünn rechtsstaatlich überlackierte Angriff auf die Ausstellung begann mit einem spontanen Akt der Zerstörung sowie einer Anzeige durch eine Tourismus-Akteurin sowie mit einer beherzten Polizeiaktion, bei der Polizeibeamt_innen die Plakate von einem Bauzaun rissen, sie also physisch vernichteten. Zwei Mal der Bauzaun, -einmal die emanzipatorische Teil-Übersprühung der Gewaltparole, das andere Mal der Abwehrmechanismus der rassistischen Gesellschaft auf die Anprangerung von Romafeindlichkeit im öffentlichen Raum. Die Wand als umkämpfter Ort der Repräsentation und der Auslöschung, und zwar von Informationen und von Menschen („Sprache kommt vor der Tat“ heißt ein neues Projekt der Künstlerin) spielt auch in anderer Weise in der Gestaltung von Schmiedts Recherche-Kunst eine Rolle. Die Dokumentationen der Künstlerin, die Aufzeichnung von Familiengeschichte, Leidensgeschichte, Verfolgungsgeschichte der Roma sind ihrer Darbietung nach oft Wandzeitungen, die zur öffentlichen Unterrichtung einladen, oder zum Selbst-Studium – und das in beiden Bedeutungen des Wortes. Hier erstehen Fotos auf’s Neue, Archivalien, Listen, Behördendokumente der angeordneten Vernichtung. Ja, die Gebeine von Opfern werden abfotografiert, nachdem Schmiedt sie in einer „wissenschaftlichen“ Sammlung ausfindig gemacht hat, wo sie bis heute lagern, anstatt bestattet zu werden. Es wird sichtbar, was den öffentlichen Blick zuvor wenig interessiert hat. So werden in Marika Schmiedts Kunst die Wände zu Trägerinnen der Wundspuren. Sie sind Zeugen des Roma-Holocausts sowie der Romafeindlichkeit überhaupt, die der Menschen-Vernichtung vorausging, in dieser resultierte-und die bis heute unvermindert andauert in den Köpfen europäischer Mehrheitsgesellschaften. Wände. Sperriges, Versperrungen. Konfrontation der Mehrheitsgesellschaft mit der ihr eigenen, der von ihr gefürchteten Vergangenheit, der Täter_innenschaft ihrer Verwandten. Konfrontation mit dem Beweis der Gegenwart dieser Furcht, nämlich der Abwehr. Im Film „Warum die Wunde offen bleibt“ dokumentiert Schmiedt das Aufeinandertreffen der ungeliebten Wahrheit über das mörderische System der Romaverfolgung mit einer Gesellschaft, die alle Register eingefleischter Rassist_innen zieht, um das Schweigen im Dienste der Lüge wiederherzustellen.

Die Banalität des Bösen

Die Geschichte dieser Kunstrezeption und des Versuchs der Gegner_innen, Rezeption und Diskussion zu verhindern, erzählt der Film in harten Schnitten. Spröde muten die ersten fünfzehn Filmminuten uns Alltagsblicke zu: Blicke auf die banale Arena rassistischer Abwehrgebärden. Durch eine Wand eingeblendeter Texte muss mensch sich hindurcharbeiten, durch Meldungen und Stellungnahmen, die aus dem Off zitiert werden. In Zeitungen und auf Websites, in Justizgebäuden und auf schick touristisch aufgemachten historischen Stadtplätzen: Hier geben sich ganz zeitgenössisch die Verfechter_innen des rassistischen Status Quo ein Stelldichein. Polizist_innen und Staatsanwält_innen, Rechtsextreme und Freund_innen der faschistischen ungarischen Jobbik- Partei. Sie alle perorieren und dementieren, unterstellen und stammeln, leugnen, tun eingeschnappt oder eröffnen Verfahren. Oder sie reißen an den Ausstellungsobjekten herum. Freiheit, die sie meinen. War es vorherzusehen, dass auf die glasklare Anprangerung von Rassismus die sich angegriffen Fühlenden mit einer Retourkutsche reagieren?
Im Zusammenhang mit ihrer Linzer Plakatausstellung „Die Gedanken sind frei“ wurde Schmiedt des Rassismus bezichtigt und selbst als mutmaßliche Verbreiterin von Rassismus in mehrere Rechtsprozesse gezogen. Die Ausstellung wurde nach der Zerstörung der Exponate durch die Staatshand schließlich unter Polizeischutz in einem geschlossenen Raum ein zweites Mal eröffnet. Das Ausmaß der Gewalt sollte eigentlich verwundern. Eigentlich, so könnte mensch unbedarft meinen, schließt sich die Strategie der Täter-Opfer-Umkehr bei einem so offensichtlichen Verbrechen wie es Romafeindlichkeit ist, aus. Eigentlich, so könnte mensch meinen, wird niemand gegen eine Künstlerin, -zudem: eine KÜNSTlerin, deren Diskurs andere Aufgaben, Funktionen und Gestaltungsziele hat als der vermeintlich interessefreie Doku-Bericht, aber was ist schon interessenfrei, -also niemand wird, so ließe sich denken, so ohne weiteres mit der Attitüde einer um das „schöne Dorf“ besorgten Stadtreinigung gegen unliebsame gesellschaftliche Statements vorgehen. Eigentlich wäre auch ein Mindestmaß an Anstand im Umgang mit einer Aktivistin zu erwarten gewesen, die der Öffentlichkeit Einblick in die mörderischen Auswirkungen der Romafeindlichkeit auf ihre eigene Familie gegeben hat: Marika Schmiedts Großmutter wurde in Ravensbrück ermordet, Schmiedts Mutter der Familie entzogen und durch Heimaufenthalte geschädigt. Gleiches wie der Mutter geschah der Künstlerin selbst.

Also, niemand dürfte es wagen, schon aus eigener Scham, eine solche künstlerische Tätigkeit mit Vorwürfen zu überziehen und gar materiell zu zerstören. Wer allerdings ein wenig Antirassismus studiert, wer auch nur ein oder zwei Mal die Probe gemacht hat und eine rassistische Aussage nicht unwidersprochen und gerechtfertigt im Raum stehen ließ, der oder die wird einer der Grunderkenntnisse antirassistischer Aufklärung zustimmen können: Die Rassismus-Debatte ist nie emotionslos und das kann mensch auch gar nicht erwarten. Geht es doch auf der Seite der Opfer immer noch um’s (Über)Leben. Meldungen über romafeindliche Gewalt reißen nicht ab. Und die Abwehr antirassistischer Argumente? Auf Seiten der Täter_innen und ihrer Kinder und Enkel, – allgemein: der Weißen, – steht das Eingeständnis an, von der Herabsetzungg und Verfolgung anderer Menschen kräftig profitiert zu haben. Man hat Mörder in der Familie. Der Opa war auch nicht so nett damals in Nazi-Österreich wie dann später zu seinen Enkeln. Emotion hier wie dort. Diese dokumentiert Schmiedt in mutiger Konfrontation.

Gefährt_innen

In klobigen Blöcken geht es weiter im Film. Blöcke, die zunehmend an Durchsichtigkeit gewinnen. In bewusstem Kontrast zum schwer erträglichen und empörenden Material der Kunstzerstörung zu Anfang, dann der brutal hasserfüllten Tiraden der Heim-Akten-Einträge aus Schmiedts im Wortsinne trostloser Kindheit, schließlich des Porträts der erschütternden Ausstellung zum Weinheber-besoffenen Kaff Kirchstetten, und der von Nachdenken unbeleckten Reaktion des Stadt-Oberen, stehen die vertrauten Interviews mit drei engagierten Frauen, Schmiedts politischen Weggefährtinnen gegen die Romafeindlichkeit. Die Vertrautheit der Diskutantinnen, das Zuwerfen der Bälle, das gemeinsame Nachdenken darüber, warum die politische Situation-einmal fällt das Wort:-„scheiße“ ist, warum sich nichts bewegt, … dieser lockere Modus des Analysierens und Sinnierens überträgt sich auf die Zuschauer_in. Und es ist klar: Es geht nicht um das Sinnieren um des Sinnierens willen. Alle stehen im politischen Feld: Die Psychotherapeutin Anna Gleirscher-Entner und die Belletristikautorin Simone Schönett haben Bücher zum Thema abgeschlossen und / oder in Arbeit. Die Psychiaterin und Psychoanalytikerin Elisabeth Brainin teilt Beobachtungen zum österreichischen Alltagsrassismus. Es geht um Aktivismus, – aber klugen, der nicht dem verheerenden Konzept der Roma-Romantik, der Roma-Industrie zuarbeitet, so wie es die sprichwörtlich fünf „Vorzeige-Roma“ (Schönett) tun, die der antirassistischen Arbeit-so der Konsens im Film-Interview-schweren Schaden zufügen. Emanzipatorische Arbeit ist Arbeit mit Geist, Herz und Hand. Das Ende des Films wirkt fast versöhnlich. Schmiedt und Schönett, zwei Streiterinnen gegen Roma- Feindlichkeit, zwei Expertinnen aus selbst erlittenem Rassismus, gehen durch die mit gußeisernen Ranken verzierte Tür des Wiener Literaturhauses hinaus und gemeinsam die Straße entlang. Abspann. Emanzipatorischer Kampf ist Kampf um’s Überleben. Das wird deutlich. Wer von Rassismus betroffen ist, kann sich nicht aussuchen, ob er oder sie sich zu Wort meldet. Aber emanzipatorischer Kampf ist zuvörderst auch Vertrauen zu Mitstreiter_innen, Bezogen- und Vertrautheit. Gemeinsames Vor-Gehen und Weiterkommen. Vielleicht geht der Zuschauer, die Zuschauer_in ja ein paar Schritte mit. Oder ein ganzes Leben.
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