Von Claudia Blumer
Serbische Roma haben zwischen Oktober und Dezember 2011 am meisten Asylgesuche eingereicht. Der Leiter des Bundesempfangszentrums in Basel erklärt, warum sie immer wieder in die Schweiz kommen.
Widrige Umstände: Roma-Siedlung in Belgrad. Die Serben waren die grösste Gruppe von Asylgesuchstellern in den letzten drei Monaten des Jahres 2011. Der Grund dafür sei die prekäre wirtschaftliche Situation der Asylsuchenden in ihrem Herkunftsort, sagt Beat Meiner, Leiter der schweizerischen Flüchtlingshilfe, der NZZ. Meist seien die Leute einfach nur froh, über die Wintermonate ein Dach über dem Kopf und Nahrung zu haben.
In ihrer Heimat leben die Roma bekannterweise unter widrigen Umständen, in Hüttensiedlungen ohne sanitäre Anlagen. Zudem haben in Belgrad die städtischen Behörden mehrere Roma-Siedlungen zwangsgeräumt, um Platz für Bauprojekte zu schaffen.
Asylgesuche wurden 2011 später eingereicht
Der saisonale Anstieg der Asylgesuche von Roma ist nicht neu, sondern wiederkehrend, sagt Roger Lang. Er ist Leiter des Bundesempfangszentrums in Basel, das die meisten der zurzeit in der Schweiz um Asyl suchenden serbischen Roma beherbergt. Normalerweise steige die Zahl der Asylgesuche aber bereits im Spätsommer an. Dass sie diesmal erst ab Oktober gestiegen ist, führt Lang auf die Situation in Nordafrika zurück. Die Serben hätten wohl gewartet, bis der grösste Ansturm aus den Maghrebstaaten vorüber war.
Auf die Frage, ob die Roma wirklich nur zur Überwinterung, also aus purem Überlebenswillen, in die Schweiz kämen, sagt Roger Lang: «Fast alle von ihnen haben biometrische Pässe, und die Reise in die Schweiz kostet pro Person rund 100 Euro.» Das Geld für die Reisekosten einer mehrköpfigen Familie würde die Überwinterung im Herkunftsland wohl gewährleisten, sagt Lang. Und auch der biometrische Pass, der seit Anfang 2010 die visumsfreie Einreise in die Schweiz erlaubt, sei nicht billig.
Angenehme Leute, gut informiert
Trotzdem lohne sich die Reise für die Betroffenen, sagt Roger Lang. «Ein paar Monate erhoffte Vollpension und vielleicht ein lange gewünschter Arztbesuch rechtfertigen den Aufwand.» Absichten, mehrere Jahre in der Schweiz zu bleiben und sich zu integrieren, hätten die Gesuchsteller kaum. Wie die Betroffenen das Geld für die Reise und die richtigen Pässe beschaffen, kann er nicht beantworten.
Die serbischen Roma werden in Basel als angenehme, unauffällige Leute wahrgenommen, die über ihre Rechte gut Bescheid wüssten. Trotzdem akzeptierten sie in der Regel eine erstinstanzliche mündliche Entscheideröffnung über das Nichteintreten – dies insbesondere in den Bundesempfangszentren, wie Lang sagt. «Unsere Erfahrung zeigt, dass die Akzeptanz erstinstanzlicher Entscheide in den Bundeszentren grösser ist als in den Kantonen.» Das Ziel sei deshalb die möglichst schnelle Abwicklung der Gesuche. Wird ein Nichteintretensentscheid erst rechtskräftig, funktioniere die Rückführung in die Balkanländer relativ gut. Die durchschnittliche Verfahrensdauer beträgt laut Bundesamt für Migration für Asylsuchende aus Balkanländern 67 Tage, bei den serbischen Roma liegt sie etwas darunter.
Neuer Tonfall seitens der Flüchtlingshilfe
Beat Meiner, Leiter der schweizerischen Flüchtlingshilfe, hält die Feststellung für verfehlt, dass die Gesuchsteller für eine Überwinterung in Serbien genug Geld hätten. «Diese Menschen sind mausarm. Das Reisegeld wäre in Serbien womöglich innert weniger Wochen aufgebraucht.» In der Schweiz seien diese Leute ja nicht eingesperrt, sie könnten rausgehen und beispielsweise betteln oder sonst wie Einnahmen generieren. «Wenn aus den 100 Euro Reisekosten am Ende 1000 Euro Einnahmen resultieren, ist das Geld gut investiert.»
Beat Meiner plädiert für eine Verkürzung der Asylverfahren. «Nur für wenige Wochen Winterhilfe würde sich die Investition für diese Leute kaum lohnen.» Dass der Leiter der Flüchtlingshilfe die langen Asylverfahren kritisiert, signalisiert einen neuen Tonfall seitens der Organisation. Nicht zufällig, wie Beat Meiner sagt: «Um in der Bevölkerung die Akzeptanz für den Flüchtlingsschutz aufrechtzuerhalten, müssen wir das Thema sachlich angehen. Wir dürfen bestehende Probleme nicht verniedlichen und auch nicht der politischen Rechten überlassen.» Humanitäre Organisationen und linke Parteien hätten dies in der Vergangenheit verharmlost.
«Die Relationen wahren»
Roger Lang hält den Aufruhr um die serbischen Roma für unverhältnismässig. Schliesslich seien die 1500 zurzeit in der Schweiz asylsuchenden Roma aus Serbien, Bulgarien und Rumänien nur knapp 10 Prozent aller Asylsuchenden. Maghrebiner und Eritreer sind weitaus grössere Bevölkerungsgruppen innerhalb der Asylgesuchsteller. «Wir haben alles unternommen, um die Gesuche von Roma prioritär behandeln zu können. Aber wir müssen die Relationen wahren, wir können nicht den ganzen Betrieb auf den Kopf stellen wegen der paar Hundert Asylgesuche aus Serbien, und die übrigen pendenten Gesuche, insbesondere jene der wirklich Schutzbedürftigen, liegen lassen.»
Trotz der Missstände erinnert Roger Lang daran, dass nach schweizerischem Recht jede und jeder ein Asylgesuch stellen könne, ungeachtet der Aussicht auf Erfolg. «Das unterscheidet uns von einer Bananenrepublik. Es darf keine Willkür geben.»
(Tagesanzeiger.ch/Newsnet)