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ROMA

Phrasen und Diskrimierung

»Negerkuß« verboten, »Zeithorizonte« erlaubt?
Über politisch korrekte Sprache

Von Wiglaf Droste

Darf man eigentlich noch »Negerkuß« sagen? Oder ein »Zigeunerschnitzel« bestellen? Und wenn die Antwort nein lautet, warum nicht? So fragen Leute, die sich vor dem Diktat einer »politisch korrekt« genannten Sprache fürchten, vor dem Verlust einer Ausdrucksweise, die sie so erlernt haben, mit der sie aufgewachsen sind und die sie deshalb als natürlich und ihnen eigentümlich empfinden. Sie sehen nicht ein, warum Wörter, die sie nach eigener Anschauung »schon immer« und »ganz normal« verwenden und als »völlig harmlos« und »überhaupt nicht böse gemeint« ansehen, auf einmal beleidigend und deshalb tabu sein sollten.

Immanuel Kant mußte sich mit solchen Fragen nicht herumplagen. Obwohl der Philosoph sein geliebtes Königsberg so gut wie nie verließ, war sein Geist weltläufig und phantasievoll; in seiner im Jahre 1802 publizierten »physischen Geographie« schrieb Kant: »Die Neger werden weiß gebohren, außer ihren Zeugungsgliedern und einem Ringe um den Nabel, die schwarz sind. Von diesen Theilen aus ziehet sich die Schwärze im ersten Monate über den ganzen Körper.«

Niemand widersprach dem frei flottierenden Unfug, und niemand wäre auf die Idee gekommen, Kant einen Rassisten zu nennen. Es war, auch unter den klugen Köpfen dieser Zeit, ganz selbstverständlich, Schwarze nicht als Menschen anzusehen, geschweige denn als gleichwertige, sondern sie wurden als Arbeitssklaven oder als Forschungsobjekte betrachtet, angesiedelt im Tierreich. Sie wurden in Menagerien gezeigt; noch der im Jahr 1883 auch um den Nabel weiß geborene Dichter Joachim Ringelnatz hat als Schüler in Leipzig fasziniert schwarze Frauen betrachtet, die im Zoo zur Schau gestellt wurden.

Sich darauf zu berufen, daß bestimmte Wörter »früher« ja auch »ganz normal« verwendet worden sein, ist kein Argument; im selben »Früher« wurden Menschen diesen Wörtern gemäß traktiert. Allerspätestens, wenn das Wort »Zigeuner« die Verurteilung zu Deportation und Tod nach sich zieht, hat es seine Unschuld verloren. Was nicht bedeutet, daß die Bestellung »Sinti-und-Roma-Schnitzel« zur Besserung der Verhältnisse beitrüge.

Ist »Neger« ein harmlos gemeintes Wort? Es kommt doch von lateinisch »niger«, heißt also nur Schwarzer und ist nicht herabsetzend zu verstehen, oder? Erfahrung sagt etwas anderes. Ich kann mich gut daran erinnern, wie ich von Nachbarn angeherrscht wurde, endlich »die Negermusik« auszumachen. Wertfrei war das nicht gemeint. Das war auch im deutschen Sozialismus nicht anders; Jazzmusiker wie Ernst-Ludwig Petrowsky berichten, mit welcher Mischung aus Unkenntnis, Argwohn und Verachtung DDR-Kulturfunktionäre sich gegen ihre »Negermusik« wandten.

Kann man sich und andere vor Mangel an Instinkt und Takt schützen, vor verbaler Dummheit und Niedertracht? In Paris steht seit Februar 2012 Jean-Paul Guerlain vor Gericht; der berühmte Parfümeur hatte 16 Monate zuvor bei einem Fernsehauftritt geäußert, er habe »geschuftet wie ein Neger«, um einen neuen Duft zu kreieren, und dann hinzugefügt, er wisse allerdings nicht, »ob Neger jemals so hart gearbeitet hätten«. Was im ersten Teil noch als sprachlicher Reflex auf die Sklaverei gedeutet werden kann, kippt im zweiten in das Klischee vom faulen schwarzen Mann.

Guerlain wurde daraufhin wegen »rassistischer Äußerungen« angeklagt, er hat seine Äußerung unterdessen als »unpassende Entgleisung« bezeichnet, die nicht seiner »eigentlichen Einstellung« entspreche. Man muß ihm das nicht glauben; aber daß ausgerechnet Juristen geeignet wären, über Sprache zu befinden, darf nicht minder bezweifelt werden. Wenn beispielsweise der gelernte Jurist Guido Westerwelle von »Zeithorizonten« spricht, also von etwas, das es gar nicht gibt, möchte man ihn nicht als Sprachgutachter an seiner Seite wissen. Westerwelle ist nur eins von Millionen Beispielen dafür, daß man ein Leben lang unbehelligt eine Mischung aus Phrasen und Irrsinn von sich geben darf, solange man sich nicht dessen schuldig macht, was Diskriminierung genannt wird. Merke: Menschen darf man nicht beleidigen, ihre Intelligenz aber uneingeschränkt und fortwährend.

Sieht jeder, der vielleicht nur unbedarft »Neger« sagt, Menschen mit dunkler Haut als minderwertig an und ist folgerichtig Rassist? Und sind umgekehrt all diejenigen keine Rassisten, die sich rhetorisch keine Blöße geben? Es könnte sich ein Rassist ja auch geschickt hinter der Maske formal korrekter Sprache verstecken und sich einen Jargon zulegen, den er, unabhängig von seiner tatsächlichen Haltung, für das öffentliche Sprechen reserviert. Hinter der Einhaltung von Formalitäten kann man sich gut verbergen.

Takt und Feingefühl lassen sich nicht verordnen. Würden Sie in Anwesenheit von Schwarzen von »Negern« sprechen? Und wenn ja, warum? Wenn man nicht anonym übereinander redet, sondern von Angesicht zu Angesicht miteinander spricht, lösen sich viele akademische oder scholastische Probleme in Luft auf, in welcher Weise auch immer.

Die Debatte über Sprache und Rassismus muß nicht frei von Humor und Überraschungen sein. So kann es geschehen, daß ein Mann mit dunkler Hautfarbe in bestem Deutsch sagt: »Bitte nennen Sie mich nicht ›Schwarzer‹, sonst muß ich an die Bild-Autorin Alice Schwarzer denken, und das möchte ich nicht gern. Da ist mir sogar ›Neger‹ noch lieber.«

Womit man schlußendlich beim Sexismus gelandet wäre, der Kusine des Rassismus. Den Namen des eingangs erwähnten Philosophen Kant darf man in Großbritannien oder den USA auf keinen Fall deutsch aussprechen; man muß ihn zu »Känt« anglifizieren, denn Kant, c-u-n-t geschrieben, ist im Englischen und Amerikanischen ein vulgäres und herabsetzendes Grobwort für das primäre weibliche Geschlechtsorgan oder für Frauen im allgemeinen, das sich auf die geläufige Abkürzung der Potsdamer Straße ebenso reimt wie auf einen umgangssprachlichen Ausdruck für Erbrochenes. Hätte Immanuel Kant das gewußt oder auch nur geahnt, er hätte seinen Kokolores über »den Neger« womöglich für sich behalten.

Quelle: http://www.jungewelt.de/2012/03-06/012.php 

Eine Antwort auf „Phrasen und Diskrimierung“

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