Wenn man sich die fast wöchentlich hochkochenden Diskussionen um politisch korrekte Sprache betrachtet, bekommt man schnell das Gefühl, der Deutschen heiligste Kulturgüter seien Schnitzel mit Paprika-Zwiebel-Soße, aufgeschäumter Zucker mit Schokoladenüberzug und schwedische Kinderbücher aus den vierziger Jahren in ihrer deutschen Übersetzung aus den fünfziger Jahren. Die ersten zwei dieser Dinge dürfen keinesfalls ihre „althergebrachten“ Namen ändern, das dritte darf keinesfalls sprachlich überarbeitet werden, denn das würde ja den Originaltext… äh, die Originalübersetzung… ach, egal, wir haben über Pippi Langstrumpf im Sprachlog so ziemlich alles gesagt, was zu sagen ist. Heute soll es um das Schnitzel gehen.
[Hinweis: Der folgende Text enthält Beispiele rassistischer Sprache.]
Der Stein des Anstoßes ist dabei nicht, wie vielleicht zunächst zu vermuten wäre, die Rezeptur, bei der (je nach Sichtweise) ein leckeres Schnitzel durch eine Soße aus verkochten Paprika und Zwiebeln verdorben wird oder eine leckere Soße aus Paprika und Zwiebeln durch ein trockenes Stück Schweinefleisch ungenießbar gemacht wird. Nein, es geht um den Namen, den diese kulinarische Monstrosität trägt: Zigeuner-Schnitzel.
Dieser Name, so meldete vor einigen Tagen die hannoversche Tageszeitung Neue Presse (hinter einer Bezahlwand), müsse womöglich von den Speisekarten der Gastronomen in der niedersächsischen Hauptstadt verschwinden, weil das örtliche „Forum für Sinti und Roma“ die Abschaffung dieser Bezeichnung fordere. Tatsächlich hatte der Verein die Hersteller von Zigeunersoße aufgefordert, ihr Produkt umzubenennen, aber wie schon beim Veggie-Day war die Angst vor Fleischverlust in der Bevölkerung so groß, dass die vorhersehbare Empörung sich hauptsächlich auf das Schnitzel richtete.
Das habe schließlich schon immer so geheißen, sagten die einen. Sie hätten nichts gegen Zigeuner und deshalb sei der Name nicht weiter schlimm, sagten die anderen.
Sogar der Vize-Vorsitzende des Zentralrats für Sinti und Roma wünsche sich, man würde sich um „Dringenderes kümmern“, reißen wieder andere ein entsprechendes Zitat aus dem Kontext.
Dann nehmen wir uns diese Punkte kurz vor (Grundsätzlicheres zum BegriffZigeuner kann ich hier nicht sagen, das Thema ist zu komplex und braucht eine eigene Diskussion).
Hat das Zigeuner-Schnitzel schon immer so geheißen? Wenigstens so lange, dass es völlig lächerlich wäre, diese ehrwürdige Tradition zu beenden und das Gericht mit dem politisch (und vor allem kulinarisch) korrekten Ausdruck „Paprikaschnitzel“ zu bezeichnen?
Die kurze Antwort ist „Nein“. Die lange geht so: Das Zigeunerschnitzel, so vermutet die Wikipedia im gleichnamigen Eintrag, entstand
…vermutlich zur Zeit des Kaisertums Österreich oder der Österreichisch-Ungarischen Monarchie in Österreich. Damals begann Paprika – ausgehend von Ungarn – in der westeuropäischen Küche populär zu werden.
Eine plausible Vermutung. Allerdings findet die eine Suche in Google Books keine Treffer für ["Zigeunerschnitzel" OR "Zigeuner-Schnitzel" OR"Cigeunerschnitzel" OR "Cigeuner-Schnitzel"] vor 1957, wo es im „Lexikon der Küche: gekürzte Kochanweisungen, fachgewerbliche Angaben, Ratschläge usw. über Weine, Getränke, Servieren“ steht (leider nur in der Snippet-Ansicht verfügbar). Auch die ["Zigeunersoße" OR "Zigeuner-Soße" OR"Cigeunersoße" OR "Cigeuner-Soße" OR "Zigeunersauce" OR "Zigeuner-Sauce" OR "Cigeunersauce" OR "Cigeuner-Sauce"] taucht erstmals in diesem Kochbuch auf.
Gab es das Rezept vorher nicht? Ich fand den Wikipedia-Eintrag so plausibel, dass ich das nicht glauben mochte. Also suchte ich im 19. Jahrhundert nach[schnitzel paprika OR paprica] und siehe da, das Rezept existiert tatsächlich. Aber wie nannte man es, wenn es nicht Zigeuner-Schnitzel hieß? Sie werden es nicht glauben: Diese politisch korrekten Gutmenschen des 19. Jahrhundert nannten das Gericht doch tatsächlich… Paprika-Schnitzel.
Also ist wohl Folgendes passiert: In den selbstzufriedenen fünfziger Jahren des Wirtschaftswunders hatten die (West-)Deutschen ihre jüngere Vergangenheit ausreichend verdrängt, um wieder etwas Exotik in ihre Küche zu bringen. Der Völkermord an den Sinti und Roma war vergessen (er war ja auch schon zehn Jahre her), und die fiktive Romantik des „Zigeunerlebens“ konnte wiederbelebt und auf das Paprikaschnitzel projiziert werden. Dass die Sinti und Roma weder mit Paprika, noch mit Schnitzel besonders viel zu tun hatten, spielte dabei keine Rolle: Österreich-Ungarische Monarchie, fahrendes Volk, ist doch alles dasselbe – feurige dunkle Menschen aus dem Süden, halt.
Und damit zum zweiten Punkt: Ist es schlimm, dass das Schnitzel (und die Soße) das Wort Zigeuner im Namen tragen?
Die kurze Antwort ist „Ja“. Die lange geht so: Eine Gruppe von Menschen unterschiedlicher Ethnien, die jahrhundertelang verachtet und verfolgt und dann von deutschen Nationalsozialisten systematisch in Vernichtungslagern ermordet wurde, eignet sich nicht dazu, einem österreichischen Gericht einen exotischen Anstrich zu geben. Und zwar unabhängig davon, ob man dazu das in sich schon problematische Wort Zigeuner oder irgendein anderes Wort verwendet. Dass das die Deutschen in den fünfziger Jahren nicht erkennen konnten, verwundert angesichts der spektakulären Verdrängungsarbeit, die sie kollektiv geleistet haben, vielleicht nur am Rande. Dass die Deutschen im Jahr 2013 es immer noch nicht erkennen können, ist zutiefst schockierend.
Und zuletzt: Aber wenn doch selbst der Vize-Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma sagt, dass es Dringenderes gibt? Naja, er sagt eigentlich etwas mehr. Lesen Sie es selbst, ich verlinke es gerne noch einmal.
Und bitte, bitte, liebe Mit-Deutsche: Hört endlich auf, eure imaginären Sprachtraditionen über das Empfinden von tatsächlichen Menschen zu stellen. Denn das kann sich niemand erlauben, aber wir schon gar nicht.
Quelle: http://www.sprachlog.de/
https://marikaschmiedt.wordpress.com/warum-wollen-sie-uns-essen/
4 Antworten auf „LUSTIG IST DAS RASSISTENLEBEN, FARIA, FARIA, HO“
Hat dies auf Der Paria rebloggt.
Hat dies auf ecoleusti rebloggt.
[…] (Artbrut) […]
[…] (Artbrut) […]