„Es bleibt keine Zeit mehr!“
Künstlerin und Roma-Aktivistin Marika Schmiedt im MALMOE-Interview
Im April 2013 wurde ihre Plakatausstellung „Die Gedanken sind frei – Angst ist Alltag für Roma in EUropa“ in Linz von Polizei und Ungarn-Nationalist*innen beschädigt und entfernt. Auf einer der Grafiken, ist eine Salami aus „100% Hungarian Roma“ mit dem Bild des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban zu sehen. Inzwischen wurde die Ausstellung im Alten Rathaus in Linz unter Polizeischutz wiedereröffnet.
MALMOE: Wie ist es dazu gekommen, dass im Oktober diesen Jahres Deine Plakate erneut gezeigt wurden?
Marika Schmiedt: Bei der ersten Ausstellung in der Linzer Innenstadt hat die Polizei zusammen mit Ungarn-Nationalist*innen meine Plakate entfernt und zerstört. Dass die Ausstellung dann im Oktober ein zweites Mal und zwar unter Polizeischutz stattgefunden hat, war ein wichtiges Statement der Stadt Linz. Die Neuinstallation der Ausstellung war aber nur aus dem Grund möglich, weil sich der Europaabgeordnete Josef Weidenholzer dafür eingesetzt hat. Wenn er und auch der damalige Bürgermeister Franz Dobusch sich nicht auf diese Weise positioniert hätten, hätte es die Wiedereröffnung nicht gegeben.
Dass eine solche Ausstellung in Linz, in Österreich, unter Polizeischutz stattfinden muss, da fehlen mir die Worte. Da sieht man, wie weit die Verdummung schon fortgeschritten ist.
War die Debatte um deine Ausstellung und ihre Zerstörung auch ein Moment, in dem eine gewisse Normalität von Rassismus gegen Sinti und Roma in Österreich sichtbar geworden ist?
Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Für mich war das auch schon vorher klar.
Überraschend war für mich nur, dass die Proteste so massiv waren. Und was ich außerdem nicht wusste, war, wie gut diese Ungarn-Nationalen hier in Österreich organisiert sind. Aber was Österreich anlangt: Bis 2011 hat in der Gedenkstätte in Auschwitz noch immer die Tafel gehangen mit „1938 – Österreich war erstes Opfer“ und wir haben jetzt 2013 und jetzt erst wird der Österreich-Raum neu gestaltet.
Und diese Nichtaufarbeitung der Geschichte spiegelt sich halt in allem wieder.
Meine Arbeit hat international zum Beispiel viel mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung als hier. Ich habe auch darüber nachgedacht, warum es gerade die Plakate sind, die so heftige Reaktionen auslösen. Anders als viele andere Sachen, die ich gemacht habe, wie zum Beispiel meine Filme. Die schaut man sich halt an und entweder es berührt einen oder nicht und schaltet dann ab oder wie auch immer. Aber die Grafiken lösen beim Betrachten etwas aus, und dem kann man sich schwer entziehen. Das ist der Unterschied zu meinen anderen Arbeiten. Ich selbst bin sehr überzeugt davon, was ich tue. Das ist total wichtig.
Wie schätzt Du die derzeitigen Versuche politischer Selbstorganisierung von Roma gegen Rassismus in Österreich ein? In diesem Jahr fand ja die erste „Roma Pride“ statt, bei der auch Plakate Deiner Ausstellung gezeigt wurden.
Sehr bezeichnend für die Situation in Österreich ist, dass die „Roma Pride“ heuer zum ersten Mal organisiert wurde. Sehr spät, in Anbetracht der unhaltbaren Zustände. Auch wenn man bedenkt, dass sie in vielen anderen Ländern schon seit einigen Jahren stattfindet.
Ich sehe das so, dass die Diskurse erst jetzt beginnen. Aber es bleibt keine Zeit mehr. Es ist viel zu wenig und viel zu wenig politisch. Viel zu unreflektiert und irgendwie auch traurig. Es sind ja zum Teil große Organisationen, wie SOS Mitmensch, die die „Roma Pride“ organisiert und auch unterstützt haben. Und dann kommen da 40 Leute und erst als die Musik angefangen hat zu spielen sind es dann mehr geworden. Ich glaube, die Forderungen müssen endlich anders lauten als „Respekt für Roma“.
Die Refugee-Protest-Bewegung ist auch ein Beispiel dafür. Es geht letztlich zu Lasten der Betroffenen, wenn man Plakate macht mit den Betroffenen drauf, und dann steht da „Ich möchte bleiben“. Da braucht es einfach was anderes. Das sind oft so Goodwill-Aktionen, die dann voll danebengehen.
Was ist es Deiner Meinung nach, was eine erfolgreiche politische Bewegung von Roma in Österreich bisher verhindert hat?
Das hat wieder mit der Geschichte zu tun. Das darf man nicht vergessen, die Zerstörung der Familienstrukturen etc. Vor allem sind die meisten nicht politisiert und nur mit dem Kampf um die eigene Existenz beschäftigt. Da ist nicht viel Platz für Bewusstsein. Zum Teil wird das Problem einfach ignoriert. Die Leute wollen es nicht glauben, wollen es nicht sehen.
Exemplarisch für die Schwächen der Roma-Bewegung in Österreich ist auch, dass der Vorsitzende des Volksgruppenbeirates der Roma, Rudolf Sarközi, durch untragbare Aussagen im Interview bei „FPÖ TV“ mit einer rechten Partei sympathisiert und in „Zur Zeit“, einer rechtspopulistischen Zeitschrift, in zwei rassistischen Sonderausgaben zum Thema „Zigeuner“ jeweils ein Interview gegeben hat.
In der derzeitigen Debatte um rassistische Sprache wird nicht nur das Wort „Zigeuner“ als rassistisch kritisiert. Auch die Bezeichnung „Antiziganismus“ als Bezeichnung für Rassismus gegen Roma, Sinti, Jenische und andere Menschengruppen ist davon abgeleitet.
Die Verwendung des Begriffs Antiziganismus geht mir schon ziemlich auf die Nerven. Da gibt es Bewegungen, die gleichzeitig sagen: „Zigeuner“ weg aus dem Sprachgebrauch, aber „Antiziganismus“ ist dann ok. Das finde ich total absurd.
Und wer spricht überhaupt in der Antiziganismus-Forschung? Das sind ausschließlich Nicht-Roma. Also ich bin gegen „Zigeuner“ und gegen den Begriff „Antiziganismus“.
Wie siehst Du die Berichterstattung in österreichischen Medien über Gewalt gegen Roma in Ungarn und anderen Ländern?
Darüber wird meiner Meinung nach viel zu wenig und deutlich zeitverzögert berichtet. Wenn ich über die Diskriminierung von Roma in Ungarn oder anderen Ländern lese, lese ich es zwei Wochen später erst in Österreich, wenn überhaupt.
Allein die Tatsache ist entsetzlich, dass ich mich nicht mehr traue nach Ungarn zu fahren, weil ich einfach Angst habe, und ich bin grundsätzliche kein ängstlicher Mensch. Ungarn ist nur 80 Kilometer von Wien entfernt. Im Internet gibt es zum Beispiel sehr viele rechtsextreme Plattformen, wo gegen meine Plakate und mich gehetzt wird.
Meine Plakate beziehen sich ausschließlich auf die Verhältnisse in Europa, auf Sachen, die passieren oder passiert sind. Die Reaktionen auf die Plakate statt auf die Verhältnisse sind dann so heftig. Das ist völlig verdreht.
Anmerkung
„Die Gedanken sind frei“ Angst ist Alltag für Roma in EUropa
Bild-/Textband 80 Seiten, Deutsch/Englisch.
Bestellung per Mail an: marika.schmiedt[AT]chello.at
online seit 20.01.2014 09:17:08 (Printausgabe 65)
autorIn und feedback : Interview: kw
Vorsitzender des Volksgruppenbeirates der Roma, Rudolf Sarközi sympathisiert mit FPÖ
2 Antworten auf „„ES BLEIBT KEINE ZEIT MEHR!““
Hat dies auf Der Paria rebloggt.
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